Bretagne: Anfang oder Ende der Welt?

Im Herbst 2022 hat es uns wieder ans Ende – oder, je nach Perspektive – an den Anfang der Welt verschlagen. Endlich! Die Bretagne und insbesondere das nördliche Finistère und die Côtes-d’Armor nehmen einen grossen Platz in unseren Reiseherzen ein. Vor neun Jahren haben wir dort mit unseren drei, damals noch recht kleinen Jungs, einen traumhaften und unbeschwerten September verbracht. Die Bilder in unseren Herzen verloren langsam etwas an Farbe und der Kleinste, damals gerade mal eineinhalb Jahre alt, hat überhaupt keine Erinnerungen an diese Zeit. Nun durften wir für fast drei Wochen unsere «Zelte» in der Bucht von Saint-Michel-en-Grève aufschlagen und erneut den milden Wind, das weite Blau, das Meeresrauschen, den Farngeruch und die unvergleichliche, sanfte Wildheit der Region auf uns wirken lassen und viele Erinnerungsperlen sammeln:

Mont-Saint-Michel

Eindeutig etwas für die Bucket List. Dieser im Meer trutzenden Abtei aus dem Mittelalter sind wohl schon alle mal auf Fotos begegnet. Der Anblick in echt ist atemberaubend und unbedingt eine Reise wert. In unserem Fall lag der Klosterberg sogar auf dem Weg und wir haben ein Hotel in der Nähe gesucht, damit wir dieses Wunderwerk in Ruhe erkunden können.

Die einzigen Besucher sind wir an diesem regnerischen Montag Ende September zwar nicht, aber es hat nur sehr wenige Touristen. So ist es ein grosses Vergnügen durch die schmalen Gassen zu schlendern, alle Winkel des Berges zu erkunden und über die Festungsmauern zu wandeln – manchmal von der Sonne geküsst, manchmal vom Regen gepeitscht.

Die Abtei selbst beeindruckt nicht nur durch ihre Grösse und ihr Alter, sondern auch durch die vielen verspielten baulichen Elemente, das wunderbare Licht und den Ausblick über die weite Ebene.

Den ganzen Tag verbringen wir an diesem wundervollen und irgendwie auch verwunschenen Ort. Als wir uns endlich losreissen können, sind die Gassen beinahe ausgestorben.

Einen kleinen Stinkefuss-Moment gab es: Die berühmte “Omelette Mont-Saint-Michel” mag ja in der Auberge von Mère Poulard köstlich schmecken, in dem Restaurant, das wir auserwählt haben, schmeckte sie uns leider gar nicht.

Saint-Michel-En-Grève: unser Feriendomizil

Nein, es regnet nicht dauernd in der Bretagne. Es regnet aber häufig für kurze Zeit und bald darauf scheint auch gleich wieder die Sonne. So haben wir beschlossen, uns ein Feriendomizil mit Blick aufs Meer zu suchen, damit wir bei jedem Wetter das Meer und die sich verändernden Lichtverhältnisse geniessen können.

Saint-Michèl-en-Grève im Abendlicht
Sicht vom Garten des Feriendomizils
Auf dem Küstenwanderweg Richtung Port de Locquemeau.
Auf dem Küstenwanderweg in der Nähe des Trou du Diable (Loch des Teufels)
Abendstimmung in der Bucht
und Sonnenuntergang.

Village Gaulois in Pleumeur-Boudou

In diesem originellen und speziellen Vergnügungspark werden Besuchende in ein Gallierdorf um 50 vor Christus entführt.

Der Park ist liebevoll und detailreich gestaltet und fügt sich wunderbar in die Landschaft ein. Natürlich hat es hier auch ein Restaurant mit leckeren Galettes und einen Andenkenladen. Die Attraktionen und Spiele (Rätsel, Labyrinth, Wurfspiele, Schaukel, Bootsfahrt, Rambock, Streitwagen, Kräutergarten, Geschicklichkeitsspiele …) sind hauptsächlich aus Naturmaterialen gestaltet. In diesem Park lernt man nicht nur einiges über die Geschichte und Bräuche der Gallier, sondern kann auch noch einen Abstecher zu Schulkindern in Afrika machen. Das “Village Gaulois” ist nämlich im Besitz einer wohltätigen Organisation und in den letzten 30 Jahren wurden rund 1,5 Mio. Euro in diverse Hilfsprojekte in Togo investiert. Leider schliesst das Dorf bereits Mitte September sein Tor, doch uns ist das Glück grad noch hold und wir können den Park fast alleine bei wunderbar bretonischem Wetter so richtig geniessen.

Lannion

Mit dieser kleinen Perle der Côtes-d’Armor hat uns der Zufall oder das Schicksal zarte Bande knüpfen lassen. Mein Mann musste ein paar Tage im Spital von Lannion verbringen und so nimmt der Ort auf unserer persönlichen Landkarte plötzlichen einen prominenten Platz ein. Als noch nicht klar ist, ob Papa im Spital bleiben muss, erforschen die Jungs und ich die Stadt, immer mit dem Gedanken, ihm dann alle von uns entdeckten Winkel zu zeigen.

In der Altstadt hat es viele sympathische Shops und Kaffees und gerade das «Orangeade Kafé» an der Ecke Rue des Chapeliers und Place du Marc’hallac’h hat es uns besonders angetan. Die Inneneinrichtung mit viel orange im Stil der 70er-Jahre und reich bestückt mit Uhren und Weckern aller Art ist witzig und die beiden Besitzer sehr nett und sympathisch. Auch die Galettes und die Burger können wir wärmstens empfehlen.  

Als schöne Entdeckung entpuppt sich auch die Kirche Saint-Jean-du-Baly.

Farbige Fensterscheiben beleuchten den hohen weiten Raum, getragen von imposanten Säulen und durchflutet vom Hauch vergangener Jahrhunderte.

Steinstatuten mit wallenden Gewändern, in der Bewegung erstarrt. In einer dunklen Ecke versteckt, das Gemälde einer Frau. Berührend.

Plougasnou – Pointe de Primel – Térénez

In dieser Region steht das Haus, das wir während der ersten Familienferien in der Region unser zuhause nennen durften und so fühlen wir uns hier immer noch etwas heimisch und dürfen auf bekannten Pfaden wandeln.

Grasende Kühe bei Plougasnou
Richtung Pointe de Primel.
Auf der Anhöhe die Cabane des Douaniers
Aussicht vom Zöllnerhaus

Auch der Küstenpfand zwischen Terenez und Saint Samson mit Blick auf die Ile Stérec und das Château du Taureau hat es uns angetan. Dieser wilde und doch liebliche Küstenabschnitt ist sehr abwechslungsreich und so findet man ganze Felder mit Felsformationen oder kleine Strände, die, wenn nicht zum Baden, dann immerhin zum Sammeln schillernder Schneckenmuscheln einladen.

von Térénez Richtung Saint Samson
Sicht auf Stérec
Stérec, wie ein Scherenschnitt vor dem zartrosa gefärbten Himmel.

Morlaix und die Kunst

Die wunderbaren Laternenhäusern und das beeindruckende Eisenbahnviadukt zeugen noch immer von Morlaix’ Vergangenheit als wichtiger Handelsplatz. Auch wenn die Stadt etwas an Glanz verloren hat, versprüht sie immer noch ihren unvergleichlichen Charme.

Auch die kleinen Läden im Zentrum haben einiges zu bieten – ob für Brettspielbegeisterte, Souvenirjäger, T-Shirt-Liebhaber oder Harry-Potter-Fans – Morlaix hat für alle den geeigneten Shop.

Bei diesem Besuch hat uns Morlaix aber noch mit einer neuen Seite überrascht:  Urbane Fresken an jeder Strassenecke – Street Art vom Feinsten.

Ausserdem haben wir uns sofort in das Bistro Culturel «Ty Coz» verliebt. Die Atmosphäre im Innern ist toll, die Bedienung freundlich und humorvoll und wären wir nicht mit doch noch recht jungen Kindern unterwegs, würden wir uns hier auch sofort ins Nachtleben stürzen und die angekündigte Irish Session geniessen.

Côte du Granit Rose und île Renote

Mit den bizarren und fantastischen Felsformationen in rosa Granit und dem berühmten Leuchtturm Mean Ruz ist dieser Küstenabschnitt der Côtes-d’Armor wohl einer der bekanntesten der Bretagne. Wir spazieren bei schönstem Wetter von Saint-Guirec bis zum Maison du Littoral und dann auf dem gleichen Weg wieder zurück.

In einem Schmuckladen gibt uns die sehr zuvorkommende Besitzerin den Tip, unbedingt noch die île Renote zu besuchen. Also machen wir uns gleich auf den Weg.

île Renote: Hier blubbert das Wasser vor sich hin.

Der Rundspaziergang um die Halbinsel ist wirklich sehr schön und abwechslungsreich. Merci Madame!

Château du Taureau

Diese alte Trutzburg liegt in der Bucht vor Morlaix und kann auf eine bewegte und vielfältige Geschichte zurückblicken. Erbaut im 16. Jahrhundert zur Verteidung von Morlaix gegen plündernde Engländer und andere Gefahren, dient die Burg dann im 18. Jahrhundert als Privatgefängnis für vermögende Familien, die ihre unbequemen Verwandten aus dem Verkehr ziehen wollen. Später kommt es für kurze Zeit als normales Gefängnis zum Einsatz. Anfang des 20. Jahrhundert wird das Fort zur Zweitresidenz einer noblen Dame und im 2. Weltkrieg haben es die Deutschen zur Fliegerabwehr eingenommen und sollen dort, so erzählt man es sich, prompt das Ende des Krieges verpasst haben. Danach beherbergt das Château während rund 20 Jahren eine Segelschule und wird schliesslich sich selbst überlassen und verfällt immer mehr. Erst seit 2006 steht die inzwischen aufwändig renovierte Festung Interessierten offen.

Von Mitte April bis Anfang Oktober fährt täglich je ein Boot von Le Diben oder Carantec aus zur Festung. Wir haben es gerade noch auf die letzte Tour des Jahres geschafft und das Boot in Carantec bestiegen.

Die île Louët kann man für 24 Stunden mieten – die Warteliste sei lang.

Bei strahlend blauem Himmel geniessen wir die Fahrt an den vielen Inseln vorbei. Auf der Île Louët holte sich Hergé die Inspiration für seinen Tim und Struppi-Comic “Die schwarze Insel”.

Nachdem uns das Boot wieder in Carantec abgesetzt hat, beschliessen wir auch hier noch etwas der Küste entlang zu wandern und die Gegend zu erkunden.

Plage du Kélenn
Pointe du Cosmeur
Sicht von der Pointe du Cosmeur auf Roc’h Gored, Château du Taureau, île Louët und île Noire

Sagenumwobenes Brocéliande oder doch einfach Wald von Paimpont?

Der Abschied rückt näher, die Ferien sind vorbei. Auf der Rückreise machen wir einen Umweg und besuchen das vielbesungene Brocéliande im Departement Ille-et-Vilaine. Die Erwartungen sind hoch und wurden durch die Lektüre eines Dupin-Krimis, der in der Gegend handelt, auch noch zusätzlich befeuert. Die Ernüchterung lässt nicht lange auf sich warten. Das Schloss Comper, in dem auch das Artus-Museum untergebracht ist, hat im Herbst nur noch für Schulklassen geöffnet. Das wäre nicht weiter schlimm gewesen, aber leider hatten wir auch keinen Zugang zum See und umliegenden Wald. Also kein Blick über den See auf das Schloss, in der Hoffnung die Herrin vom See aus dem Nebel auftauchen zu sehen, oder so. Wir besuchen stattdessen die liebevoll gestaltete Multimedia-Ausstellung «La porte des secrets» in Paimpont als Einführung in die Wunder der Region. Unsere Kinder verfolgen die Präsentation mit deutscher Übersetzung aus den Kopfhörern. In Paimpont haben sich extrem viele Souvenirshops angesiedelt; das Angebot überfordert uns. Dann doch lieber einfach den Blick von der Abtei aus über den See geniessen. Mystisch, wunderbar!

Mit frischem Mut machen wir uns auf die Suche nach Merlins Grab und der Quelle der Jugend. Diese beiden Sehenswürdigkeiten befinden sich zum Glück nicht in einem Bereich des Waldes, der im Oktober für die Jagd abgesperrt ist. Wer nicht im Sommer mit den Menschenmassen durch den Wald ziehen will, muss halt Einschränkungen in Kauf nehmen.

Merlins Grab

Das Grab von Merlin finden wir sofort, aber Brocéliande zeigt sich hier nicht gerade von der romantischsten Seite: Das Grab befindet sich nur wenige Meter von einem Zaun entfernt und rund herum wachsen eher mickrige Bäumchen und nicht stolze jahrhundertealte Baumriesen. Also weiter zur Quelle der Jugend. Diese ist leider nach dem übermässig heissen Sommer gänzlich versiegt. Etwas desillusioniert spazieren wir weiter und dann wird es doch noch schön.

Da wo es nichts zu sehen gibt, türmen sich kleine Steintürmchen, der Wald wird dichter und als wir herauskommen, stehen wir am Etang de la Marette, dessen rote Farbe vom Eisenreichtum der Region zeugt.

Etang de la Marette

Weiter geht es dem Ufer des kleinen Sees entlang und wieder zurück in den Wald. Wir durchqueren Farnlichtungen und überqueren Bächlein.

Alles in allem ein sehr schöner Spaziergang. Andere Leute treffen wir kaum und es ist schwer vorstellbar, dass im Sommer ganze Horden von Touristen über die Region hereinbrechen sollen.

Die Gralskirche, die wir später besuchen, hat intensiv leuchtende Glasfenster. Fresken und Bilder aus der Artus-Sage zeigen eine christianisierte Version der Artus-Symbole und der Suche nach dem heiligen Gral. Leider ist die künstliche Beleuchtung an diesem Regentag der Art, dass einzelne Bilder nur schlecht erkennbar sind.

Der weisse Hirsch soll hier nicht Artus, sondern Gott darstellen.

Die Megalithen von Monteneuf

Bevor es wieder zurück nach Hause geht, schauen wir uns noch die Megalithen-Anlage in Monteneuf an. Während 1500 Jahren wurden hier auf einer Fläche von 13 Hektaren über 500 Menhire aufgestellt. Zu sehen ist nur ein kleiner Bruchteil der Steine, etwa 39, und schon diese sind sehr beeindruckend. Die stehenden Steine gingen gänzlich vergessen und kamen erst in den 70er Jahren wieder zum Vorschein, nachdem mehrere aufeinanderfolgende Feuersbrünste den Wald niedermähten.

Ein sehr schöner Ort, der seinen ganz eigenen Zauber verströmt. Während der Hochsaison ist das Besucherzentrum geöffnet und es hat verschiedene Animations-Posten. Jetzt ist aber alles zu und wir können die Steine und die Gegend in Ruhe auf uns wirken lassen.

Der Anfang und das Ende der Welt

Das äusserste Departement der Bretagne heisst im französischen Finistère, dieser Name ist den Römern zu verdanken und bedeutet “Ende der Welt”. Die hier ansässigen Bretonen und Bretoninnen nennen die Region Penn-ar-Bed und das kann sowohl “Ende der Welt” als auch “Kopf der Welt” heissen – alles eine Frage der Perspektive.

Wie dem auch sei, wir kommen wieder! Die Gummistiefel im Gepäck. Nicht weil es in der Bretagne so viel regnet, sondern weil es so schön ist, bei Ebbe über den Meeresboden zu wandern.

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